Kann man Rückenschmerzen oder gar einen Bandscheibenvorfall selbst behandeln? Die Antwort ist ein klares Jein. Um akute Schmerzen in den Griff zu bekommen und Rückenprobleme auf Dauer zu kurieren oder zu vermeiden, braucht es meist einen Mix aus guten Ärzten, Therapie und eigenem Zutun durch z.B. Training, Ernährung und Achtsamkeit. Außerdem sollte man einige Grundregeln beachten.
Mit 36 Jahren erlitt ich einen sequestierten Bandscheibenvorfall L5/S1 und entschied mich gegen eine Operation. Im Verlauf meiner Therapie beeinflusste mich der Ansatz von Prof. Stuart McGill sehr stark. In seinem Buch Rückenreparatur postuliert der kanadische Rückenspezialist im Rahmen seines Rückenkodex 10 Regeln für einen gesunden Rücken.
Im folgenden Artikel erläutere ich kurz den McGill-Ansatz und schildere euch meine Erfahrungen mit den 10 Regeln aus McGills Rückenkodex bei der Therapie meines Bandscheibenvorfalls. Viel Spaß beim Lesen.
Inhalt
Der McGill-Ansatz
In seinem Buch „Rückenreparatur“ beschreibt der kanadische Professor und Wirbelsäulenspezialist Stuart McGill dem Rückenpatienten/der Rückenpatientin, wie er seine/ihre schmerzauslösenden Impulse erkennen, bewerten und vermeiden kann und bietet einen Stufenplan mit effektiven Übungen, um die Schmerzen selbst zu heilen.
Dazu muss der Rückenpatient/die Rückenpatientin in einem ersten Schritt zunächst einmal herausfinden, wo die Schmerzen herkommen, um im weiteren Vorgehen schmerzhafte Bewegungen zu identifizieren und konsequent zu meiden. Nachdem sich durch dieses Vorgehen erste Besserungen eingestellt haben, kann man danach dazu übergehen, die Wirbelsäule durch die „Goldenen Drei“ (Bird-Dog, Curl-Up, Seitstütz) zu kräftigen und so weit zu stabilisieren, dass keine schmerzhaften Mikrobewegungen mehr auftreten. Wer so Erfolge erzielt hat, kann danach in einem Aufbautraining die Core-Muskulatur weiter kräftigen und zu einem aktiven Lebensstil zurückkehren.
Regel Nr.1 : Dem Rücken täglich gesunde Bewegung gönnen
Ich liebe Bewegung und treibe mindestens zweimal die Woche Sport. Ich war immer der Meinung, dass ich mich genug bewege. Aber erst als ich mich durch meinen Bandscheibenvorfall mit dem Thema Rücken und rückengerechtes Verhalten im Alltag beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, wie wenig ich mich in meinem Alltag tatsächlich bewege bzw. wie ungünstig meine Bewegung verteilt ist.
Ich bin Lehrer. Das ist verglichen mit einem klassischen Bürojob schon mal eine gute Ausgangsposition. Ich unterrichte meist im Stehen und sitze im Schulalltag eher wenig. Wenn ich Unterricht vorbereite oder korrigiere, tue ich das natürlich aber meist im Sitzen. Außerdem muss ich täglich ca. eineinhalb Stunden mit dem Auto fahren.
Spätestens seit ich „Rückenreparatur“ von McGill und „Werde ein geschmeidiger Leopard“ sowie „Sitzen ist das neue Rauchen“ von Kelly Starrett gelesen habe, ist das Thema Bewegung im Alltag aber fest im meinem Denken verankert.
Meine Bewegungsroutine sieht seither wie folgt aus: Zweimal wöchentlich gehe ich ohnehin zum Laufen oder Radfahren. Darüber hinaus steht eine längere Kraft-und Mobility-Einheit auf dem Programm. Das deckt aber noch lange nicht die Forderung nach täglicher und gesunder Bewegung ab. Seit ich McGill gelesen habe, übe ich jeden Tag, wirklich jeden Tag die „Goldenen Drei“. Außerdem verwende ich einen Fitnesstracker, der mir zum einen Rückmeldung darüber gibt, ob mich im gesamten Tagesverlauf genug bewegt habe und zum anderen meckert, wenn ich mal wieder zu lange am Stück gesessen habe. Wenn der Balken abends noch nicht voll ist, gehe ich spazieren und wenn die Uhr klingelt, wenn ich mal wieder zu lange gesessen habe, gehe ich ein Stück, mache wenn möglich kurze Mobility-Übungen oder balanciere auf den Stapelsteinen meiner Kinder.
Regel Nr.2: Ein gesundes Gleichgewicht wahren
Diese Regeln beinhaltet ganz schön viele Hausaufgaben. Jeder kennt das: Der Alltag inmitten von Familie, Beruf und Freizeit kann ziemlich fordernd sein. Mir geht es häufig so, dass der Tag einfach zu kurz ist und ich zu viele Aufgaben habe. Dabei kommt dann irgendetwas immer zu kurz. Entweder man schläft zu wenig oder schlecht. Im stressigen Alltag ernährt man sich nicht optimal oder lässt das Training schleifen, weil man die Zeit für andere Dinge benötigt. Bei mir kommt noch erschwerend hinzu, dass ich schlecht entspannen kann. Ich nehme mir häufig einfach nicht die Zeit, um zwischendurch mal auszuruhen.
Solange das in kurzen Phasen so oder so ähnlich abläuft, ist das aus meiner Sicht kein Problem. Es darf allerdings nicht zum Dauerzustand oder gar zur Normalität werden.
Aber wie kann man dieses Gleichgewicht herstellen? Dafür gibt es sicherlich kein Patentrezept. Zunächst einmal muss einem die Problematik überhaupt bewusst werden. Ich für meinen Teil verfolge momentan folgende Vorgehensweise:
Ich plane meine Tage so, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ich das Gleichgewicht halte. Für eine gesunde und ausgewogene Ernährung im Alltag planen wir die Essen für die ganze Woche vor und kaufen entsprechend ein. So minimieren wir das Risiko, im stressigen Alltag doch an der Imbissbude anzuhalten, nur weil es gerade Zeit spart. Auch für die Arbeit bereite ich mir entweder am Abend vorher oder morgens eine Lunchbox mit gesunden Lebensmitteln vor, um nicht am Mittag ohne Essen dazustehen und dann zum Bäcker gehen zu müssen. Mealprepping nennt man das neuerdings.
Sporttermine lege ich nach Möglichkeit so, dass sie nicht mit der Familienzeit kollidieren, sondern parallel verlaufen und sich so gut in den Alltag integrieren lassen. Beispielsweise fahre ich meinen Sohn zum Fußballtraining und gehe während seines Trainings laufen, anstatt davor oder danach zu trainieren. Schön ist es auch, wenn sich Kinder- und Väterinteressen ergänzen. So gehe ich z.B. mit meinen Kids gemeinsam zum Mountainbiken. Wir fahren alle in demselben Verein.
Schwieriger ist das Thema Entspannung und Schlaf für mich. Ich komme wie viele andere arbeitende Familienväter nicht gut zur Ruhe und kann einfach schlecht entspannen. Ich glaube tatsächlich, dass darin für mich – und viele andere Rückenpatienten und Rückenpatientinnen – die Hauptaufgabe liegt, um das von McGill postulierte Gleichgewicht zu erreichen. Wer von sich aus schlecht zur Ruhe kommt, der tut daran eine Entspannungstechnik zu erlernen. In meiner Reha lernte ich die Progressive Muskelentspannung kennen. Diese kann gezielt zur Entspannung von Muskeln verwendet werden, die infolge eines Bandscheibenvorfalls verhärteten. Sie unterstützt aber auch das allgemeine Wohlbefinden, indem man sich unter Anleitung gezielt entspannt. Zugegeben: Ich nahm das am Anfang nicht so wirklich ernst. In der Reha schwänzte ich auch die ein oder andere Sitzung. Da meine Frau jedoch eine Zusatzqualifikation als Entspannungspädagogin hat, probierte ich es aber natürlich noch einmal aus und muss sagen, dass die Effekte, die man mit dieser einfachen Technik erzielen kann, doch sehr hoch sind.
Um die Qualität meines Schlafs zu verbessern achte ich mittlerweile penibel auf Schlafhygiene: Keine Bildschirme im Schlafzimmer, eine Stunde vor dem Schlafengehen kein Smartphone mehr, feste Schlafzeiten und frische Luft im Schlafzimmer. Das hilft ungemein. Wenn ich dann immer noch Probleme haben sollte und über Phasen hinweg schlecht schlafe, greife ich gerne auf CBD-Produkte (CBD-Öle) oder CBD-Melatonin-Produkte (z.B. Vaay Sleep-Spray) zurück. Damit konnte ich bislang sehr gute Erfahrungen sammeln.
Regel Nr.3: Die Ursache beheben. Schmerzhafte Fehlhaltungen vermeiden
Regel Nummer 3 ist meine Lieblingsregel, denn dort liegt großes Potential. Nachdem ich während meiner Reha sporadisch die Rückenschule besucht hatte, war ich für das Thema rückengerechtes Bewegen bereits sensibilisiert. Als ich dann aber „Rückenreparatur“ von Stuart McGill und „Werde ein geschmeidiger Leopard“ von Kelly Starrett las, wurde mir erst bewusst, wie schlecht und unachtsam ich mich eigentlich bewegte. Das musste ich dringend ändern. Ich fing also an, penibel darauf zu achten, welche Bewegungen mir nicht gut taten oder meine Schmerzen vielleicht sogar verschlimmerten. Entdeckte ich eine solche Bewegung, sortierte ich sie konsequent aus.
Danach übte ich neue, nicht schmerzhafte Bewegungen ein. Diese hier alle zu beschreiben, würde den Artikel sprengen. Darum widme ich diesen einen eigenen Beitrag. Allen anderen voran war es aber der Squat. Ich möchte darüber hinaus aber eine Bewegung hier kurz erwähnen, denn diese war ein Schlüsselerlebnis für mich. McGill nennt es „neutrale Position„, Starrett spricht von „Verankern„, gemeint ist beide Male etwas Ähnliches, nämlich die Wirbelsäule in eine natürliche Position zu bringen, aus der Bewegung stattfinden kann. Dazu wird der Po angespannt und das Becken leicht gekippt, egal, ob im Sitzen oder Stehen.
Die Wirbelsäule ist aus dieser Position optimal vorbereitet auf Bewegung. Es ist erschreckend, wie unachtsam wir manchmal stehen oder auf Stühlen oder der Couch regelrecht rumhängen.
Diese Rückenhygiene sorgt dafür, dass man gut durch den Tag kommt und nicht durch falsche Bewegungen neue Schmerzen provoziert. Was man nicht tut, ist in diesem Zusammenhang also genauso wichtig wie das, was man tut.
Regel Nr.4: Vorsicht bei Dauerbehandlungen
Von dieser Regel kann ich ein Lied singen. Ich bin als Lehrer Privatpatient. Wenn ich zum Arzt gehe, sehe ich die Dollarzeichen in den Augen so manches Mediziners.
Das ist traurig, ist aber leider Realität. „Sie haben Rückenschmerzen? Hier haben Sie ein Rezept für Schmerzmittel. Lassen Sie sich am Empfang für die nächsten vier Wochen bitte Termine für Akupunktur geben. Wenn das nicht hilft, sehen wir weiter. Wenn Sie ein anderes Schmerzmittel brauchen, melden Sie sich.“ Und fertig. Keine weitere Untersuchung, nix.
Genauso habe ich es erlebt. Ich habe dann genau einen Termin Akupunktur in Anspruch genommen. Die Ärztin kam, stach mir lieblos und in Windeseile einige Nadeln in den Körper und verschwand. „Bis zum nächsten Termin dann. Tschüss.“ Spätestens da wurde mir klar, was hier los ist. Hier interessierte sich niemand für meine Schmerzen. Ich sollte lediglich möglichst häufig zur Akupunktur wiederkommen. Das ist scheinbar leichtverdientes Geld. Es half mir aber leider überhaupt nicht. Ich beließ es bei einem Termin und wechselte den Arzt.
Was ich in dieser Arztpraxis erlebt habe, hat, so glaube ich, häufig System. Es geht dann nicht mehr primär darum, dem Patienten zu helfen, sondern darum, ihn möglichst oft in der Praxis zu haben und maximal viele Leistungen abrechnen zu können. Es kann sein, dass das insbesondere bei Privatpatienten wie mir vorkommt. Vom Arzt angeleierte Dauerbehandlungen dienen allerdings nie wirklich dem Wohl des Patienten, sondern meist der Geldbörse des Arztes. Vor allem schaffen sie das eigentliche Problem nicht aus der Welt. Wer also das Gefühl hat, als Goldesel und nicht als Patient behandelt zu werden, der sollte sich schleunigst einen anderen Arzt suchen.
Regel Nr.5: Vorsicht vor passiven Behandlungen
Bei einer passiven Behandlung wird etwas mit dir gemacht. Du selbst bist während du liegst, sitzt oder stehst passiv. Beispiele für passive Behandlungen sind :
- Akupunktur
- Elektrotherapien
- kinesiologisches Taping
- Lasertherapie
- Magnetfeldtherapie
- manuelle Therapien wie Manipulation und Mobilisation der Wirbelsäule
- Massagen
- Wärme- und Kälteanwendungen
- therapeutischer Ultraschall
- Traktionsbehandlung
- …
Passive Therapien gehen dabei für gewöhnlich nicht die Ursache des Problems oder des Schmerzes an und erhöhen nur selten die Aussicht auf langfristige Heilung. Einige Ausnahmen sind hier allerdings zu nennen. Bestimmte Behandlungen wie z.B. Physiotherapie, Osteopathie können nämlich sehr wohl Schmerzen lindern, indem z.B. Blockaden gelöst werden und dadurch Zeitfenster für schmerzfreie Bewegungen schaffen. Dann ist aber immer noch jeder Patient selbst dafür verantwortlich, diese schmerzfreien Zeiträume aktiv zu gestalten, zum Beispiel, indem man lernt, sich schmerzfrei zu bewegen oder eine Trainingstherapie angeht, in der die Segmentalmuskulatur der Wirbelsäule trainiert wird.
Ich gebe zu: Die Vorstellung ist verlockend. Man geht zu einem Therapeuten oder einem Arzt, der etwas mit einem macht und die Probleme verschwinden. Viele kennen das. Man hat diffusen Rückenschmerz und geht zur Physiotherapie oder zum Chiropraktiker. Dieser löst einige Blockaden und der Schmerz wird erstmal besser. Super, Problem gelöst. Doch das ist meist falsch, denn die eigentliche Problematik hinter den Blockaden wird dabei nicht behoben. Nach einiger Zeit treten die Probleme häufig wieder auf. Auch ich bin schon in diese Falle getappt. Schon vor meinem Bandscheibenvorfall hatte ich häufiger mit Blockaden in der Brust- oder Lendenwirbelsäule zu tun. Stets machte ich mir einen Termin bei meiner Hausärztin, die auch Chiropraktikerin ist und sie löste mit ein paar gezielten Manipulationen meine Blockaden. Der Schmerz wurde besser und ich war zufrieden, bis die Blockaden erneut auftraten.
Wer nicht ständig zum Arzt laufen möchte, muss sich also auf die Ursachenforschung begeben. Dazu braucht man Ärzte bzw. Therapeuten, die bereit sind, diesen Weg mit einem zu gehen. Und davon gibt es meiner Erfahrung nach leider Gottes nicht so viele. Wie oben bereits beschrieben, sind viele Arztpraxen eben auf diese Behandlungspraxis ausgerichtet. Der Patient kommt mit Schmerzen und wird passiv behandelt. Das hilft eine Zeit lang, bis die Problematik wieder auftaucht und der Patient neuerdings in die Praxis kommt. Und das ganze geht immer so weiter. Der Arzt verdient damit Geld, dem Patienten ist aber überhaupt nicht geholfen.
Um bei dem Beispiel mit den Blockaden zu bleiben: Viel interessanter ist doch die Frage, warum die Blockaden immer wieder auftreten. Sitzt der Patient zu viel, hat er einen Plattfuß, bewegt er sich schlecht? Hat man eine solche (mögliche) Ursache identifiziert, kann man aktiv und gezielt daran arbeiten und geht damit auch die Ursache an. Die Blockade ist nämlich eigentlich nur ein Symptom und keine Ursache. Logisch oder?
Regel Nr.6: Gesunder Menschenverstand – nicht jeder Arzt ist kompetent
Viele Patienten gehen davon aus, dass alle Ärzte gleich gut sind. Aber von diesem Glauben sollte man sich schleunigst verabschieden. Genauso wie es schlechte Automechaniker oder Lehrer gibt, gibt es auch schlechte Ärzte. Einige Ärzte sehen sich auch heute leider noch als „Götter in Weiß“ und lassen keine kritischen Fragen zu. Patienten haben aus meiner Sicht aber das Recht, sich über den Sinn und Zweck der jeweiligen Behandlung zu informieren und Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen.
Auch ich musste mehrfach die Erfahrung machen, dass Ärzte ungeduldig bis ungehalten auf meine Fragen reagierten. Ich wollte hingegen einfach nur meine Behandlung verstehen. Seit dem habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, so lange nachzufragen, bis ich zu 100 % verstanden habe, was der Arzt mir sagt. Ich sehe mich bei meiner Behandlung als zahlender Kunde. Zu Ärzten, die das nicht zulassen, gehe ich (wenn möglich) nicht mehr.
Regel Nr.7: Wenn Sie mit Schmerzmitteln und ohne Physiotherapie nach Hause gehen, brauchen Sie keinen Chirurgen
Schmerzlinderung an sich ist nicht per se schlecht und Schmerztherapie durch Medikamente hat natürlich ihre Daseinsberechtigung. Was allerdings in vielen Arztpraxen passiert, ist aber aus meiner Sicht hochgradig bedenklich, da dort das Schmerzmittel die einzige Therapieform ist. Auch ich musste diese Erfahrung leider machen. Nachdem ich meine Diagnose „Bandscheibenvorfall“ von meiner Ärztin erhalten hatte, verschrieb sie mir 800er Ibuprofen und das war’s im Wesentlichen.
Eine Woche danach stellte ich mich zwei Orthopäden in einer renommierten konservativen, orthopädischen Klinik vor. Der eine empfahl mir eine sofortige Bandscheiben-Operation, der andere einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt zur konservativen Therapie. Letztlich entschied ich mich für die konservative Therapie und war damit bislang erfolgreich.
Insofern trifft diese Regel von McGill auf meinen Krankheitsverlauf definitiv zu. Ich bin nur mit Schmerzmitteln aus der Arztpraxis herausgegangen und brauchte keine Operation. Ich möchte mir aber nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ich nicht noch zu anderen, kompetenten Ärzten gegangen wäre. Das Verhalten meiner Hausärztin halte ich aus meiner heutigen Perspektive für grob fahrlässig. In der Klinik, in der ich behandelt wurde, gab es auf meiner Station nur einen einzigen Arzt, der es für vertretbar hielt, mich nicht zu operieren. Alle anderen sahen in meinem Fall eine akute OP-Indikation. Meine Hausärztin verschrieb mir als Therapie Ibuprofen. Nicht zu fassen!
Regel Nr.8: Das Gleichgewicht zwischen Kraft und Ausdauer, Beweglichkeit und Steifheit wiederherstellen
Wer meinen Erfahrungsbericht gelesen hat, der weiß schon, dass ich leidenschaftlich gerne Mountainbike fahre. Bis 2020 nahm ich regelmäßig an Mountainbike-Marathons teil. Dafür trainierte ich regelmäßig und hart: Ausdauertraining, Intervalle, Krafttraining. Mein Training war allerdings viel zu einseitig. Ausdauer- und Intervalltraining absolvierte ich auf dem Rad, die Krafteinheiten im Kraftraum. Dabei konzentrierte ich mich fast ausschließlich auf Maximalkrafttraining in Form von Squats mit der Langhantel. Alles andere wie z.B. das Training der Rumpfmuskulatur oder Mobility-Training kam aus Zeitgründen meist viel zu kurz.
Heute bin ich mir sicher, dass ich durch mein einseitiges und auf den Radsport fokussiertes Training ein Ungleichgewicht in meinem Körper erzeugt hat, das zu Rückenschmerzen geführt und auch sicherlich einen Teil zu meinem Bandscheibenvorfall beigetragen hat.
Ich bin heilfroh, dass ich mittlerweile wieder Rad fahren kann und achte penibel darauf, Ausgleich zur Sitzposition auf dem Rad zu schaffen. Heute trainiere ich lieber 20 – 30 Minuten kürzer auf dem Mountainbike und absolviere danach eine kurze Einheit Core- oder Mobility-Training. Das bringt mir unheimlich viel.
Regel Nr.9: Einen individuellen Ansatz suchen
Leider setzen Ärzte und Therapeuten noch viel zu häufig auf eine einzige Behandlungsform, die sie allen ihren Patienten anbieten, unabhängig von deren individuellen Beschwerden. Das kann nicht funktionieren. Alle Menschen sind unterschiedlich und brauchen natürlich auch individuelle Therapien ihrer Rückenschmerzen. Für Patienten, die mit den von ihren Ärzten angebotenen Therapien keine oder nur kleine Fortschritte erzielen, bietet der McGill-Ansatz große Möglichkeiten.
- Der erste Schritt muss demnach immer eine gute und richtige funktionelle Diagnose sein. Jemand muss feststellen, welche Bewegungen, Belastungen und Haltungen Schmerzen auslösen. Wenn die behandelnden Ärzte das nicht tun, gibt McGill in seinem Buch wertvolle Tipps dazu, wie man das auch alleine machen kann.
- In einem zweiten Schritt muss man nun diese Schmerzursachen abstellen, d.h. schmerzhafte Bewegungen und Haltungen konsequent meiden.
- In einer passenden Reha-Strategie sollte man dann an alternativen und schmerzfreien Bewegungsmustern arbeiten, die dem geschädigten Gewebe Zeit verschaffen, um heilen zu können (Das kann je nach Verletzung sehr lange dauern).
Ich habe mit diesem Ansatz große Erfolge erzielen können. Ich habe McGills Ansatz mit Bewegungsmustern aus Kelly Starretts „Werde ein geschmeidiger Leopard“ kombiniert und konnte alternative Bewegungsmuster für alltägliche Bewegungen und Positionen wie z.B. Sitzen, Gehen, Heben, Fahren oder Schlafen finden. Ich muss sagen, dass ich wirklich überrascht war, welch große Erfolge man damit erzielen kann. Ich war immer der Meinung, dass das größte Potential bei der Behandlung von Rückenschmerzen in gezieltem Training und Physiotherapie liegt. Heute bin ich mir aber nicht mehr sicher, ob das wirklich so ist.
Regel Nr.10: Kontinuierliche Selbstbeobachtung führt zum Erfolg
Wer mit dem McGill-Ansatz Erfolge erzielt und sein Repertoire an schmerzfreien Bewegungen erweitert hat, der kann seine Therapie sukzessive an seine Fortschritte anpassen. Sobald der Bewegungsumfang Training zulässt, kann man beginnen dosiert zu trainieren (z.B. die Goldenen Drei und ergänzende Übungen). Dabei spielt Selbstbeobachtung eine große Rolle. Nehmen die Schmerzen mit dem Training wieder zu, muss man den Umfang reduzieren. Wichtig ist es, seine Ambitionen hintenanzustellen und niemals über seine Schmerzschwelle hinauszugehen.
Rückenverletzungen wie ein Bandscheibenvorfall brauchen sehr lange zum Verheilen. Man kann mit zu frühem und zu ambitioniertem Training mehr kaputtmachen als gewinnen. Deshalb ist immens wichtig, das man lernt, die Signale seines Körpers zu verstehen und zu deuten. Training kann durchaus fordern, es darf aber nicht wehtun. Gerade für Sportler ist das die größte Hürde. Meist wollen sie zu früh zu viel und überfordern die verletzten Gewebestrukturen. Das ist es jedoch nicht wert. Der Schaden, den man so verursachen kann steht in keinem Verhältnis zu dem versprochenen Trainingsnutzen. Deshalb: Lass es ruhig angehen und überfordere dich nicht! Horche nach jedem Training in deinen Körper und lerne die Signale zu deuten. Nur so wirst du langfristig Erfolge erzielen.
Bandscheibenvorfall selbst behandeln: Mein Fazit
Eingangs habe ich die Frage, ob man einen Bandscheibenvorfall oder andere Rückenschmerzen selbst behandeln kann mit Jein beantwortet. Natürlich braucht man guten Ärzten und Therapeuten, die einem wichtige Impulse geben und Orientierung bieten. Viel wichtiger ist jedoch das, was man selbst z.B. durch Training, Ernährung, Achtsamkeit usw. tut. Dabei dienen die Grundlegeln des McGill-Rückenkodex als Leitplanken. Je mehr dieser Regeln ein Patient oder eine Patientin beherzigt, desto größer.