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Mindset Therapie

Von der Diskrepanz zwischen Befund und Befinden bei der Diagnose Bandscheibenvorfall

Die Diskrepanz zwischen Befund und Befinden öffnet bekanntermaßen ein großes Spannungsfeld in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Nicht selten kommt es vor, dass Befund und Befinden nicht so recht zusammenpassen wollen. Der Arzt orientiert sich dann häufig eher am Befund, der Patient natürlich an seinem Befinden. Häufig kommt es dann zu Unstimmigkeiten oder sogar Konflikten bei der weiteren Therapie. Auch ich musste diese Erfahrung machen, als ich mich mit einem akuten Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule ins Krankenhaus begab. Zwei Ärzte sahen sich meine MRT-Bilder an. Einer riet auf Grundlage des Befunds zur sofortigen OP, der andere erkundigte sich nach meinem Befinden und empfahl mir einen konservativen Therapieversuch. Wie ich die Abwägung zwischen meinem Befund und meinem Befinden erlebt habe, beschreibe ich in diesem Artikel.

Das Spannungsfeld zwischen Befund und Befinden

Um das Spannungsfeld zwischen Befund und Befinden zu verstehen, ist es notwendig die Begriffe klar zu definieren und voneinander zu unterscheiden.

Unter dem Befund versteht die Medizin vereinfacht gesagt relevante, körperliche oder psychische Erscheinungen, Gegebenheiten, Veränderungen und Zustände eines Patienten, die durch medizinisches Personal als Untersuchungsresultat erhoben werden. Dies geschieht durch ganz unterschiedliche Untersuchungsmethoden. Die Ergebnisse werden auf verschiedenste Weise dokumentiert (Text, Grafik, Bild, Ton etc.).

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Bei einem Bandscheibenvorfall ist die häufigste Form des Befunds eine MRT-Aufnahme mit dem zugehörigen Bericht des Radiologen.

Das Befinden ist hingegen der geistige und emotionale empfundene Körperzustand eines Menschen und kann allgemein nicht von außen beurteilt werden. Der Arzt kann nur durch Schilderungen des Patienten Einblicke in sein Befinden erlangen.

Mein Befund: sequestierter Bandscheibenvorfall L5-S1 mit akuter Lumboischialgie

Ich zog mir meinen Bandscheibenvorfall beim Training im Kraftraum zu. Zumindest hat dort der Schmerz angefangen. Nach einer unachtsamen Bewegung hatte ich Schmerzen. Zunächst nur im unteren Rücken, später breitete sich der Schmerz über mein Gesäß und dann bis ins Bein aus und wurde immer stärker. Insgesamt verschlimmerte sich mein Zustand über mehrere Monate schleichend, bis ich im Spätsommer 2020 schließlich einen Termin zum MRT machte. Dort wurde vom Radiologen ein sequestierter Bandscheibenvorfall L5-S1 diagnostiziert. Meine ganze Geschichte würde den Rahmen für diesen Artikel sprengen. Diese könnt ihr in meinem Erfahrungsbericht nachlesen.

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MRT-Bild meines Bandscheibenvorfalls

Mein Befinden: auf Messers Schneide

Als ich den Befund bekam, war ich fast schon erleichtert. Endlich hatte ich einen Anhaltspunkt, was meine unsäglichen Schmerzen verursachte. Zu dieser Zeit hatte ich wirklich starke Schmerzen. Ich musste ständig Schmerzmittel einnehmen, damit ich überhaupt über den Tag kam. Der Schmerz strahlte vom Rücken über das Gesäß bis in meinen Fuß aus. Im linken Fuß hatte sich eine Fußheberschwäche gebildet.

Linderung verschaffte mir neben den Schmerzmitteln lediglich Gehen und die Stufenlagerung. Mental war ich am absoluten Limit. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, zu dieser Zeit weinte ich aber mehrmals täglich, manchmal wegen der Schmerzen, manchmal aus Angst, dass dieser Schmerz nicht mehr weggehen würde.

Arzt Nummer 1: Fokus auf den Befund

Meine MRT-Bilder hatte ich im Vorfeld meines Termins im Krankenhaus per Post dorthin geschickt. Als ich im Wartebereich, halb auf den Stühlen liegend, auf den Termin bei meinem Orthopäden wartete, sprach mich ein Mann an und erkundigte sich nach meinem Befinden. Ich hielt ihn zunächst für den Hausmeister.

Er stellte sich dann jedoch als Chefarzt vor und berichtete mir, dass er zufällig meine MRT-Bilder gesehen hatte. Er fragte mich, ob ich denn laufen könne. Das machte mich dann doch etwas stutzig. Er sah mir meine Verwunderung an und erklärte mir, dass mein Befund schon gravierend sei. Er hätte erwartet, dass ich an ernsten Ausfallerscheinungen leiden müsse. Er wolle an dem Termin mit meinem behandelnden Orthopäden gerne teilnehmen. Ich willigte ein.

Zunächst ging es jedoch zur Untersuchung bei meinem behandelnden Orthopäden. Der nahm sich wirklich viel Zeit, hörte mir zu und machte allerhand Tests. Danach ging es zum Gespräch, zu dem auch der Orthopäde vom Flur dazukam. Gemeinsam erklärten sie mir die MRT-Bilder. Als Erstes korrigierten sie den Befund des Radiologen. Dieser litt nämlich offensichtlich an einer Rechts-Links-Schwäche und hatte meinen Bandscheibenvorfall auf der falschen Seite, nämlich rechts diagnostiziert.

Danach übernahm der Chefarzt das Wort und kam ohne Umschweife direkt zur Sache. Nur auf Grundlage der MRT-Bilder empfahl er mir eine Operation. Es bestehe akute OP-Indikation und das sei die einzig sinnvolle Maßnahme. Ich solle mir schnell einen Termin bei einem Neurochirurgen machen. Ich solle mir nicht allzu viel Zeit lassen, das könne gefährlich werden.

Ich war ehrlich gesagt erst einmal ganz schön baff. Ich hatte mich in der Kürze der Zeit zwar ein wenig informiert. Auf so etwas war ich jedoch nicht ansatzweise vorbereitet.

Glücklicherweise schaltete sich mein behandelnder Orthopäde ein und eröffnete mir eine andere Sichtweise, über die ich rückblickend sehr froh bin.

Arzt Nummer 2: Wie geht es Ihnen mit dem Befund?

Er erklärte mir, dass mein Befund schon krass sei, man aber immer auch das Befinden des Patienten berücksichtigen müsse und nicht nur auf Grundlage der MRT-Bilder eine Operation durchführen solle. Offensichtlich waren die beiden Ärzte so gar nicht einer Meinung.

Er erklärte weiter, dass man alleine unter Beachtung meines Befunds durchaus zu dem Schluss kommen könne, dass eine Operation nötig sei. Allerdings passe mein sonstiger Zustand nicht zu den Bildern. Das komme häufiger vor bei Bandscheibenschäden.

Unter Berücksichtigung des Befunds und meines Befindens, das ich ihm geschildert hatte und in Verbindung mit den Untersuchungen bot er mir einen Platz für eine konservative Therapie an.

Meine Abwägung und Entscheidung

Da ich eine Operation nach Möglichkeit vermeiden wollte, entschied ich mich letztlich für den konservativen Therapieversuch.

Das hätte aber auch ganz anders laufen können. Rückblickend bin ich mir ziemlich sicher, dass ich heute an der Bandscheibe operiert wäre, hätte ich einen Termin bei dem anderen Orthopäden gemacht.

Wäre ich nicht an einen Arzt geraten, der beides – Befund und Befinden – gleichermaßen berücksichtigt, hätte ich mich für die Operation entschieden.

Mein Fazit

Rückblickend bin ich sehr dankbar für meine Erfahrungen, die ich bei dem Termin um Krankenhaus gemacht habe. Es hat sich alles ganz gut gefügt. Damals war mir der Unterschied bzw. der Zusammenhang zwischen Befund und Befinden nicht bewusst. Es ist zu einfach gedacht, ein MRT-Bild eines Bandscheibenvorfalls anzusehen, den Übeltäter in Form von ausgetretenen Gallertkern zu identifizieren und wegzuoperieren.

Viel zu oft kommt es vor, dass Befund und Befinden nicht so recht zusammenpassen wollen. Kleine Bandscheibenvorfälle oder Protrusionen verursachen manchen Patienten Höllenqualen, während so mancher Massenprolaps mehr oder weniger zufällig entdeckt wird. In der Praxis sehen sich Ärzte sogar immer wieder mit Patienten konfrontiert, die auch nach eingehenden Untersuchungen ohne Befund sind und dennoch unter Schmerzen leiden. Oft werden die Schmerzen dann als psychosomatisch abgetan und für die Patienten beginnt eine Odyssee von Arzt zu Arzt.

Meine Erfahrungen haben mein Bewusstsein dafür geschärft, auf beides gleichermaßen zu achten, den Befund und das Befinden. Und ich froh darüber, wie es gelaufen ist.

Wer weiß, auf welcher Seite der Neurochirurg mit dem falschen Befund des Radiologen operiert hätte?

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